Aktualisiert am: 27.08.2022
Dem betrieblichen Eingliederungsmanagement kommt seit 2004 eine zentrale Bedeutung im betrieblichen Gesundheitsmanagement zu:
Arbeitgeber sind heute gesetzlich verpflichtet, längerfristig erkrankte Mitarbeiter beim Wiedereinstieg in ihre vorherige Tätigkeit zu unterstützen und durch präventive Maßnahmen einem erneuten Rückfall in den Krankenstand vorzubeugen.
Definition: Was ist betriebliches Eingliederungsmanagement?
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist eine Teilfunktion des betrieblichen Gesundheitsmanagements und beinhaltet alle Pflichten und Maßnahmen des Arbeitgebers, die Arbeitsunfähigkeit von erkrankten Mitarbeitern zu überwinden, erneute Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden und die Beschäftigungsfähigkeit langfristig erhalten.
Vorteile und Nachteile des BEM
Das Wiedereingliederungsmanagement bietet sowohl aus Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- wie aus Kostenträgersicht einige wichtige Vorteile:
- Verringerung der Fehlzeiten durch schnellere Rückkehr
- Senkung von Personalkosten
- Nachhaltige Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit, besonders von älteren Arbeitnehmern
- Arbeitnehmer werden vor Arbeitslosigkeit und Frühverrentung geschützt
- Sozialkassen werden entlastet
Doch kann das BEM auch mögliche Risiken haben?
- Eine Strafe droht bei Unterlassung von BEM-Maßnahmen zwar nicht, jedoch könnte eine spätere Kündigung daran scheitern
- Lehnt der Arbeitnehmer die Teilnahme an BEM-Maßnahmen ab, dürfen ihm keine Nachteile entstehen, er kann sich allerdings später im Kündigungsfall nicht darauf berufen
- Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet Angaben zum Grund zu seiner Erkrankung zu machen und könnte Sorge haben, dies im Unternehmen preiszugeben – dadurch kann sich die Wiedereingliederung erschweren
- Zudem bestehen verständlicherweise Vorbehalte, vertrauliche Krankendaten dem Arbeitgeber preiszugeben (Gefahr der Nutzung von BGM Unterlagen zur Kündigung statt Wiedereingliederung, Zweckentfremdung persönlicher Daten entgegen dem Datenschutzrecht)
Die Gesetzliche Grundlage – Der Paragraph 84 im SGB IX
Die Pflicht zum Angebot von BEM-Maßnahmen gegenüber dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer ist durch Paragraph 84 Abs. 1 und 2 im Sozialgesetzbuch (SGB) IX geregelt.
Voraussetzung für BEM
Ist ein Mitarbeiter in einem Zeitraum von 12 Monaten länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt über mehrere Fehlzeiten verteilt arbeitsunfähig bzw. krankgeschrieben, hat der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.
Anforderungen für BEM
Das Gesetz beinhaltet keine konkrete Vorschrift, wie das BEM durchzuführen ist.
Vielmehr setzt der Paragraph 84 Abs. 2 SGB IX die Rahmenbedingungen für das BEM-Gespräch als verlaufs- und ergebnisoffenen Klärungsprozess zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgebervertretern.
Gemeinsam soll eine Lösung gefunden werden, wie die individuellen Umstände für den Mitarbeiter derart gestaltet werden können, dass das Risiko für eine Wiedererkrankung minimiert wird.
Rollen im BEM: Wer sollte beteiligt werden?
Wer im BEM welche Aufgabe übernimmt, hängt grundsätzlich vom individuellen Betrieb und der Betriebsgröße ab. Der BEM Beauftragte kann eine Führungskraft aus dem Personalwesen sein oder der Leiter des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Großunternehmen.
Das Gesetz legt nicht präzise fest, wer bei der Durchführung der BEM-Maßnahmen welche Funktion zu erfüllen hat. In der Praxis nimmt neben dem betroffenen Arbeitnehmer in der Regel eine Auswahl der folgenden Akteure in BEM-Gesprächen teil:
Beteiligte | Aufgaben |
BEM-Beauftragter | Voraussetzungen für BEM prüfen BEM Prozesse koordinieren Einzel- und Gesamtverfahren evaluieren Bericht an Geschäftsführung |
BEM-Verantwortlicher | Kontakt zu Arbeitnehmer herstellen Transparente Aufklärung über BEM-Verfahren Betroffene in Erst- und Folgegesprächen umfassend informieren Beschluss von Zielvereinbarungen und Evaluation der Zielerfüllung |
Betriebsrat / Personalrat | Überwachung der Rechtmäßigkeit im Verfahren |
Werks-/ Betriebsarzt | Aufklärung über gesundheitsfördernde Maßnahmen Prognosestellung über Rückfallrisiken |
Schwerbehindertenvertretung | Beratung und Interessenssicherung schwerbehinderter Arbeitnehmer |
Beauftragter für Arbeitssicherheit / Arbeitsschutz | Betrachtung möglicher Gefahren am Arbeitsplatz und Wahl geeigneter Maßnahmen, diese zu entschärfen |
Ggf. externe Partner (z.B. Ärzte, Reha-Einrichtungen, Disability Manager, Integrationsamt) | Diverse |
Der Zusammenschluss aus Betriebs- bzw. Personalrat, Inklusionsbeauftragten und Schwerbehindertenvertretung wird auch Integrationsteam genannt.
Verfahren: Ablauf des betrieblichen Eingliederungsmanagements
Das BEM sollte im Unternehmen als strukturierter Prozess implementiert werden, bei dem alle Ziele, Schritte und Rollenverteilungen im Vorfeld klar definiert wurden.
Betriebsvereinbarung
Zunächst wird in der Betriebsvereinbarung zwischen der Geschäftsführung und der Mitarbeitervertretung bzw. dem Betriebsrat schriftlich festgehalten, wie die Sicherung der Arbeitsfähigkeit umgesetzt werden soll.
Folgende Gliederungspunkte finden sich in einer typischen Betriebsvereinbarung für das BEM:
- Präambel
- Ziele
- Geltungsbereich
- Maßnahmen und Handlungsfelder
- Beteiligte
- Datenschutz & Dokumentation
- Inkrafttreten & Geltungsdauer
In der Betriebsvereinbarung sollte auch klar geregelt werden, dass Mitarbeiter bei Ablehnung von BEM-Maßnahmen keine Nachteile erfahren dürfen.
BEM Anschreiben
Im ersten Schritt wird dem Mitarbeiter nach der Genesung eine Einladung zum Gespräch in einem Anschreiben zugesandt.
Dieses Anschreiben sollte die folgenden Aspekte beinhalten:
- Ausgangslage: Dokumentation der Fehlzeiten
- Sinn und Zweck: Warum findet das BEM-Gespräch statt?
- Hinweis auf Freiwilligkeit
- Hinweis zur Verwendung der personenbezogenen Daten
BEM Gespräche
Zentrale Aufgabe im BEM sind die Krankengespräche und Wiedereingliederungsgespräche.
Ziel eines solchen Gesprächs für den BEM-Beauftragten ist es, gemeinschaftlich mit dem Mitarbeiter zu ergründen, welchen Beitrag der Betroffene und das Unternehmen dazu leisten können, dass die Arbeitsunfähigkeit überwunden und zukünftige Rückfälle vermieden werden können.
Wichtige Fragestellungen im Erstgespräch lauten:
- Welche Ursachen gab es für die Arbeitsunfähigkeit, welche davon liegen im Betrieb?
- Welche Tätigkeiten bereiten dem Betroffenen Probleme?
- Wie steht das Risiko eines Rückfalls?
- Wie kann der Arbeitnehmer in kleinen Schritten zur alten beruflichen Tätigkeit zurückgeführt werden?
- Welche Erwartungen haben Mitarbeiter und Arbeitgeber an die Wiedereingliederung?
Wichtige Fragestellungen in Zweit- und Folgegesprächen sind:
- Ist der Mitarbeiter wieder voll einsatzfähig?
- Wie sind die Wiedereingliederungsmaßnahmen angekommen?
- Hat der Mitarbeiter die im Erstgespräch gesetzten Ziele erfüllt?
Auch wenn der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, den Mitarbeiter bei der Wiedereingliederung zu unterstützen gilt dieser Zwang umgekehrt nicht: Der Arbeitnehmer kann die Teilnahme am BEM Gespräch ablehnen.
Eingliederungsmaßnahmen
Gemeinsam mit dem Mitarbeiter können Maßnahmen aus einem vielfältigen Spektrum ausgewählt werden. Unterscheiden lassen sich Maßnahmen zur Beschleunigung der Genesung des Mitarbeiters und zur Wiedereingliederung in den Arbeitsalltag.
Maßnahmen der Rehabilitation beinhalten beispielsweise:
- Kurmaßnahmen
- Ambulante oder medizinische Reha
- Weiterbildung und Umschulungsmaßnahmen
Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention sind zum Beispiel:
- Ergonomische Umgestaltung von Arbeitsplatz und -umfeld
- Kürzere, bzw. flexiblere Arbeitszeiten, stufenweise Rückkehr
- Belastungsproben
- Verbesserung des innerbetrieblichen Gesundheitsschutzes
- Konfliktmanagement
- Möglicher Arbeitsplatzwechsel
Gesprächsleitfaden: Das Krankenrückkehrgespräch führen
Das Krankenrückkehrgespräch bzw. Wiedereingliederungsgespräch könnten Sie zum Beispiel in folgende Abschnitte untergliedern:
- Begrüßung
- Vertrauensbildung durch empathischen Einstieg in das Gespräch, mögliche Vorbehalte vorwegnehmen
- Vorstellung aller beteiligten Personen
- Einleitung
- BEM-Ziele und Vorgehensweise
- Vertraulichkeit
- Datenschutz
- Kein Zwang zur Nennung von Details rund um die Erkrankung
- Einverständniserklärung
- Erwartungen und Bedenken des Mitarbeiters
- Problemanalyse
- Erkundigung nach Grund für die Arbeitsunfähigkeit und Frage nach aktuellem gesundheitlichen Befinden
- Bestehen Leistungseinschränkungen, die eine Rückkehr behindern?
- Identifikation von Arbeitsplatz- und Arbeitsumfeld-bedingten Belastungen als Ursache
- Lösungsfindung
- Wie können Arbeitsplatz und -umfeld gestaltet werden?
- Welche Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention gibt es im Unternehmen, die einen Rückfall verhindern können
- Kann der Mitarbeiter seinen alten Beruf wiederaufnehmen oder muss eine Alternative gefunden werden
- Zusammenfassung
- Offene Fragen
- Beschlossenen Maßnahmen
- Zeitplan
- Folgetermin
Sonderfall: Kündigung im BEM
Ziel des BEMs ist es eine Lösung zu finden, die die Teilhabe am Arbeitsleben durch Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses sichert. Das BEM ist auf Maßnahmen zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und auf Verhinderung einer Kündigung ausgerichtet.
Verzichtet der Arbeitnehmer auf die Teilnahme am BEM, hat der Arbeitgeber im Kündigungsfall zu beweisen, dass auch trotz Durchführung von BEM-Maßnahmen eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich gewesen wäre.
Bei Verzicht auf ein BEM-Angebot geht der Arbeitgeber das Risiko ein, dass der Mitarbeiter im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung eine gerichtliche Auseinandersetzung anstrebt und die Kündigung für sozialwidrig und unrechtmäßig erklärt wird, da nicht alle Möglichkeiten zum Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses ausgeschöpft wurden.
Datenschutz
Wenn Mitarbeiter dem BEM Skepsis entgegenbringen, liegt das häufig an mangelndem Vertrauen in den verantwortungsbewussten Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten.
Daher ist es essentiell, dass das Thema Datenschutz sehr ernst genommen wird.
Ein entsprechendes Datenschutzkonzept legt fest, wie personenbezogene Daten erhoben, verarbeitet und genutzt werden dürfen und welche Maßnahmen ergriffen werden um den Schutz der Daten zu gewährleisten.
Deutlich werden muss, dass nur die wichtigsten Daten erhoben werden und diese nur zur Erfüllung der BEM-Ziele verwendet werden.
Aus Sicht der betroffenen Mitarbeiter gilt es vor allem glaubhaft zu vermitteln, dass durch die im BEM erhobenen Daten keine arbeitsrechtlichen oder sonstigen Konsequenzen zu befürchten sind.
Die Datenspeicherung im BEM erfolgt unabhängig von der Personalakte! In dieser wird lediglich vermerkt, ob der Mitarbeiter an BEM-Maßnahmen teilgenommen oder die Teilnahme an diesen abgelehnt hat.
Eine besondere Stellung kommt dem Betriebsrat zu, der auch ohne Zustimmung des Arbeitnehmers Auskunft über krankheitsbedingte Fehlzeiten verlangen kann.
Das sämtliche im BEM-Prozess eingebundenen Personen zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet sind versteht sich hoffentlich von selbst.